Der Schneider Petter vom Houteng

In Süchteln gab es immer viele Spassvögel und gemütliche Menschen, die das Leben nahmen, wie es kam. Ungefähr zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wohnte im Dornbusch der in ganz Süchteln beliebte Schneider Petter, der überall als Schelm und Spassvogel bekannt war und der schon so manchen Streich ausgeheckt hatte.

 Die Schneider hatten in frĂĽheren Jahren nicht immer die ganze Woche hindurch Arbeit in ihrer Werkstatt und mussten deshalb manchmal wochenlang bei den Bauern der Umgebung arbeiten gehen. Auch fĂĽr den Schneider Petter kam einmal eine schlechte Zeit und so musste er am Schmanzeng bei einem reichen Bauern arbeiten gehen. Wie der Schneider Petter, der sehr gern mal ein „Tröpfchen“ trank, schon ein paar Tage bei dem Bauern gearbeitet hatte und noch immer „trocken“ am Tisch saĂź, kam auf den Hof der Handelsmann Kappel aus SĂĽchteln und wollte ein Kalb kaufen. Nachdem der Bauer und der Jude eine halbe Stunde gehandelt und geschachert hatten, wurden sie handelseinig, und der Jude fĂĽhrte das Kalb an einem Strick zum Tor hinaus.

 Da sprang Petter vom Tisch auf und sagte zu dem Bauern, der gerade die Taler nachzählte, die er fĂĽr das Kalb bekommen hatte: „Was gebt ihr, wenn ich dem Juden das Kalb wieder abnehme, ohne das er es merkt, und wenn ich das Kalb wieder in den Stall bringe?“ „Na“, sagte der Bauer, „auf eine halbe Flasche Fussel soll es mir nicht ankommen, wenn du das KunststĂĽck fertig bringst.“ Da lief der Petter zum Hof hinaus wie eine gegeiĂźelte Katze und kam eine halbe Stunde später mit dem Kalb auf den Hof zurĂĽck. „Ja aber“, sagte der Bauer, „wie hast du das bloĂź fertig gebracht, Petter, dem Juden das Kalb abzunehmen?“

 â€žDas war so ein groĂźes KunststĂĽck nicht“, sagte der Schneider. „Ich bin so schnell durch’s GebĂĽsch gelaufen, wie ich nur konnte, dass ich dem Juden zuvorkomme. Dann zog ich mir einen Strumpf aus und legte ihn auf die StraĂźe, wo der Jude mit dem Kalb vorbei kommen muĂźte, und meinen zweiten Strumpf legte ich ungefähr dreihundert Meter weiter. Wie der Jude an den ersten Strumpf kam, bĂĽckte er sich, nahm ihn auf, warf ihn dann aber wieder weg und ging weiter. Dann kam er auch bald an den zweiten Strumpf. Wie er den sah, dachte er: Der passt ja zu dem ersten Strumpf, das ist noch ein gutes Paar. Er stopfte sich den Strumpf in die Tasche, band das Kalb an ein GebĂĽsch und ging zurĂĽck um sich den ersten Strumpf zu holen. Ich, schnell das Kalb losgebunden und durch das GebĂĽsch ab zurĂĽck zum Hof. Nun mĂĽsst ihr das Kalb aber in einen anderen Stall bringen, sonst merkt der Jude noch was, weil er ja wohl bald wiederkommen wird.“

Wie der Jude nun mit dem Paar Socken zurückkam, war sein Kalb fort und er suchte den ganzen Busch ab, aber er fand es nicht. Dann ging er wieder zurück zum Hof und klagte dem Bauern sein Leid. „Ach“, sagte der Bauer, „ich kann dir noch ein Kalb verkaufen, aber das ist ein bisschen kleiner und ein paar Taler teurer. „Ja“, sagte der Jude, „ich muß heute noch ein Kalb haben, komme was da wolle, ich muß morgen für ein ‚Brudet’ in Süchteln das Kalbfleisch liefern.“ Sie gingen dann in einen anderen Stall als zuerst und der Jude kaufte das Kalb noch einmal, ohne das er es merkte, bezahlte es auch und zog damit ab. Wie der Jude mit dem selben Kalb hinaus zog, sagte der Schneider Petter wieder zu dem Bauern: „Ich wette jetzt mit euch um eine ganze Kanne Fussel, dass ich dem Juden das Kalb noch mal abnehmen kann.“ „Das gilt“, sagte der Bauer, „und wenn du das noch mal fertig bringst, dann kriegst du auch noch ein tüchtiges Wurstbrot.“

 Der Schneider Petter lief wieder zum Hof hinaus wie ein Windhund und setzte sich in das GebĂĽsch, wo der Jude das Kalb beim ersten Mal angebunden hatte, um sich den Strumpf zu holen. Wie der Jude an die Stelle kam, da fing Petter an zu blöken. „Bö, bö“, genau wie ein Kalb. Wie nun der Jude ein Kalb im GebĂĽsch blöken hörte, dachte er: „Warte, jetzt soll ich dich wohl kriegen.“ Dann band er sein Kalb wieder an ein GebĂĽsch und ging in den Busch, um das vermisste Kalb zu fangen. Auf den Augenblick hatte der Petter gewartet. Er, das Kalb losgemacht und ab zurĂĽck zum Hof, wo er auch ungesehen mit dem Kalb ankam.

 Nun erzählte der Schneider Petter dem Bauern, wie er den Juden das zweite Mal dran gekriegt hatte. Eine Stunde später kam auch der Jude wieder zum Hof. Er machte ein Gesicht, als wenn er auf einen Maikäfer gebissen hätte. Da lachten der Bauer und der Petter den Juden aus, der nicht wusste, was er sagen sollte, bis der Bauer dem Juden den Streich erzählte, den der Schneider gemacht hatte. Dann musste der Jude die anderthalb Kannen Fussel bezahlen, was er auch gerne tat, bekam sein zuviel bezahltes Geld wieder und zog vergnĂĽgt mit seinem Kalb nach SĂĽchteln. Wenn der Jude Kappel später noch auf den Hof am Schmanzeng kam, soll er immer zuerst schmunzelnd gefragt haben: „Ist der Schneider Petter auch nicht hier?“

Lithographie von SĂĽchteln um 1850

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